Lange habe ich hier keinen
Post verfasst. Es lag aber nicht nur an Weinachten, Ferien und dem ganzen Drum
und Dran. Meine Tochter hatte in der Schule einige Probleme, die nicht mit
Mathe zu tun hatten. Oder jedenfalls nicht in erster Linie.
Schon im letzten Schuljahr
klagte sie darüber, dass niemand mit ihr spielt, sie keine Freunde hat. Ihr
damaliger Klassenlehrer sah dies nicht als sein Problem. Richtig, und auch
wieder nicht. Es handelte sich um 2 ehemalige JUL-Klassen, die nun als eine 2.
Klasse unterrichtet wurden und meine Tochter war in dem neuen Klassenverband
nie richtig angekommen, hat aber zugleich viele Freundinnen verloren, die nun
ihrerseits in die 3. Klasse gingen. Ich versuchte sie vermehrt zu verabreden,
aber die Größe des Problems habe ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht
erfasst.
Die 3. Klasse begann und
meine Tochter hatte kaum noch Verabredungen. Sie war über ein Jahr zu keinem
Kindergeburtstag eingeladen worden. Sie erzählte, dass sie in der Pause nicht
mitspielen dürfe, dass sie beim Frühstück alleine sitzen müsse usw. Irgendwann
nach den Herbstferien brach sie mir im Auto heulend zusammen. Wie schrecklich
alles sei, dass sie keine Freunde hätte, nur uns Eltern, dass sie immer allein
wäre, dass sich die anderen Mädchen wegdrehen würden, wenn sie sie anspräche.
Viele, viele Kleinigkeiten, die aber doch ein Bild gaben. Ich war dann viel mit
den Lehrern im Gespräch, habe mitgelitten, und habe - da die Lehrer das
Problem auch zum Großteil in dem Verhalten meiner Tochter sahen - mir das Ganze
selber angesehen und beobachten können.
Es lag sicher auch an ihr.
Sie ist sehr sensibel. Hat immer gefragt, ob sie mitspielen darf und
entsprechend oft Absagen kassiert. Ihr ist nicht klar, dass andere Kinder
einfach mitmachen. Sie meint, dies wäre unhöflich. Sie holt sich keine Hilfe in
schwierigen Situationen, so dass sie eben damit leben musste, wenn Beleidigungen
fielen, sie ausgegrenzt wurde. Dass Kinder in der Grundschule petzen war ihr fremd. Ihre Klassenlehrerin
meinte, dies lernen Kinder wohl schon im Kindergarten, nur meine Tochter würde
sich keine Hilfe holen.
Sie ist in ihrem Verhalten
ein wenig jünger, nicht kindisch, aber sicher kindlicher. Wobei die
Verhaltensspanne in der Grundschule ja groß ist. Sie geht leichtgläubig und
naiv an Sätze ran, wie "dann bist du nicht mehr meine Freundin",
"nie wieder spiele ich mit dir". Sie nimmt das ernst, würde sie
selber so etwas doch nie sagen. Es kränkte sie, dass sie sich auf niemanden
verlassen konnte und wünschte sich eine richtig gute verlässliche Freundin. Aber so ist
Grundschule nicht.
Zu dieser Zeit hatte es sich
auch etabliert, dass die Mädchen um Freundinnen hart gekämpft haben. Im
Morgen-Kreis wurde dies thematisiert und mehrere Kinder fühlten sich
tatsächlich oft ausgeschlossen.
Nach den ersten Gesprächen hat es noch ca. 8 Wochen
gedauert, bis sich die Situation verändert hat. Ich habe meine Tochter bis zu 4
Mal die Woche verabredet. Ich weiß nicht, ob dies bei dritten Klassen sonst noch so üblich ist, aber unsere Schule ist eine private Schule mit großem Einzugsbereich, bei welchem die Kinder viel gefahren werden müssen. So sind die Eltern natürlicherweise in die Spielverabredungen eingebunden. Es wurde dann auch deutlich, dass alle Kinder nur zu gern bereit waren sich mit ihr zu treffen. Bis dahin war sie eben nie das Mädchen der Wahl, es hatte sie wohl so keiner richtig
auf dem Zettel.
Geholfen hat es in unserem Fall auch, dass ich das Gespräch mit einigen Eltern gesucht hatte, deren Kinder an den schwierigen Situationen beteiligt waren. Nicht als Hauptakteure, aber auch das Dabeisein unterstützt. Die von mir angesprochenen Eltern waren sehr offen und haben mit ihren Kindern über Ausgrenzung gesprochen. Ich habe aber auf Kontakt zu den Eltern verzichtet, deren Einwirken ich als nachteilig eingeschätzt habe.
Beim Zeugnisgespräche zum
Halbjahr der 3. Klasse wurde die Situation wieder thematisiert und es hat sich
wohl einiges merklich verbessert. Zum einen wurde sie von ihrem schon lange
innegehabten Randplatz, neben dem nur noch ein sprachschwaches Kind
saß, neben ein anderes Mädchen gesetzt. Mit diesem war sie früher befreundet
gewesen. Prompt kam es wieder zu Verabredungen und natürlich auch zu mehr
Spielkontakten in der Pause.
Zwar musste meine Tochter
diesen Platz nochmals wechseln, da sich beide durch ihre Art gegenseitig vom
Lernen abhielten, aber auch der neue Platz neben einer sehr ruhigen, auch
rechenschwachen Schülerin, ist super. In der Grundschule werden Freundschaften
häufig zu den Sitznachbarn aufgebaut (es sei denn sie sind sehr unfreundlich
oder schwierig).
Auch haben die Lehrer sie
wohl sehr viel vor den anderen gelobt und damit betont wie anerkannt sie ist. Da meine Tochter hat auch
Schwierigkeiten in Gruppen hat ihren Platz zu finden, bekommt sie jetzt immer
kleine Arbeitsgruppen zugeteilt, damit sie nicht untergeht.
Während der Projektwoche
wurde sie zudem von den sehr schwierigen Mädchen getrennt und ihr wurden sozial
besser passende Kinder zugeteilt.
Und durch die vielen
Verabredungen hatte meine Tochter viel öfter jemanden zum Spielen.
Denn so funktioniert Grundschule: mit dem Kind, mit dem man am Nachmittag
verabredet ist, wird tagsüber gespielt. Naja, und viele Verabredungen heißt
auch wieder für die anderen, das Kind ist beliebt. Der Wert steigt. Und nun
wurde sie tatsächlich das erste Mal nach 1 1/2 Jahren zu einem Geburtstag
eingeladen und die Lehrer sprechen davon, dass sie viel positiver auftritt und lacht.
Nur das Grundproblem bleibt:
sie ist sehr unsicher, fühlt sich als "unnormal", "anders",
"dumm". Vieles kommt tatsächlich von ihrer Leistungsfähigkeit im
Unterricht. Sie kann sich nur schlecht konzentrieren, wenn sie etwas nicht
interessiert. Musik, Kunst, Theater laufen gut. Mathe, Deutsch und Sachkunde
eher nicht. Mathe hat sie jetzt soweit aufgeholt, dass sie im unteren Drittel
mitschwimmt. Sie könnte mehr, wenn ich wollte, aber irgendwo muss auch mal Luft
zum Atmen bleiben, eine Pause.
In Deutsch ist das Ganze
komplizierter. Sie liest wie ein kleiner Engel, sie schreibt aber kaum
leserlich. Die Schreibschrift beherrscht sie nun weitestgehend und wenig Text
kann sehr schön aussehen. Andererseits schafft sie es in 4 Zeilen 25 Fehler zu
packen. In diesem Jahr gab es im Zeugnis den schönen Satz: "Die Rechtschreibung
entspricht nicht den Anforderungen." In der darauffolgenden
Schreibprüfung sah es dann wieder besser aus. Sie beherrscht wohl schon einige
Schreibregeln. Hm, ich weiß. Mündlich kann sie richtig buchstabieren oder sie
findet alle ihre Schreibfehler, wenn man sie auffordert und sie genug Muße hat.
Aber unter Zeitdruck?
Ich hatte ein Gespräch mit
der Psychologin, welche ihre Dyskalkulie festgestellt hat. Sie wäre halt
emotional/sozial verzögert, noch nicht schulreif (sehen die Lehrer nicht so), stände unter Druck, weniger
Termine wären besser usw. Meine Frage, ob man denn nicht nun doch mal auf ADS
testen könne, wie es das WOI empfohlen habe, weil ihr doch gerade Aufmerksamkeit
und Konzentration so schwerfallen, kam nicht gut an. Was ich denn will,
Medikamente?
Nein, eigentlich nicht. Nur
ein Kind, dass entsprechend seiner Fähigkeiten lernen kann und nicht verzweifelt
heult, weil es in Schönschrift eine Überschrift in eine Zeile schreiben soll.
Dass ADS überhaupt erst die Ursache für Lernstörungen sein kann, bleibt völlig
unbeachtet.
Meine Tochter wurde mit dem
WISC getestet. Verbalteil sehr gut, der Rest gut und das akustische
Arbeitsgedächtnis extrem schlecht. Das würde aber nicht ausreichen für eine
Auffälligkeit. Notwendig wäre, dass die gesamte Aufmerksamkeit extrem auffällig
wäre. Ihr EEG ist auffällig, aber das haben wohl viele Kinder.
Schwierig. Mag sein, dass
alles von der infantilen Zerebralparese kommt. Die ist zwar überhaupt nicht
mehr sichtbar und die ganze Körperbewegung, das Gleichgewicht usw. haben sich
durch Karate extrem verbessert, aber möglich wäre es natürlich. Aber woher die Konzentratonsstörung kommt, könnte im Ergebnis auch egal sein, wenn die Behandlung die selbe wäre (so ihr Kinderarzt). Mein Bauchgefühl sagt mir, ich muss dem weiter
nachgehen. Denn ich habe ein cleveres Kind, dass sich für alles Mögliche
tiefgehend interessiert, nur den Lernstoff in der Schule nicht behalten
kann.